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Bremer Schreibnacht

Die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen (SuUB) und  Bibliotheks- und Informationssystem (BIS) der Universität Oldenburg organisieren für die Studierenden die virtuelle Schreibnacht .  Meiner Meinung ist es ein sehr gutes Projekt, das ich durch einen eigenen Beitrag unterstütze. Ich werde den Studierenden aufzeigen, wie sie datenbasierte Ausarbeitungen erfolgreich umsetzen. Ich werde natürlich auch die Nutzung von ChatGPT einbinden. Ich freue mich auf den regen Austausch. 

Wie hoch ist das Diversifikationspotenzial von Aktienportfolios?

In letzter Zeit habe ich empirische Analysen zum Thema Diversifikationspotenzial von Aktienportfolios durchgeführt. Die Höhe des Diversifikationspotenzials erscheint mir vor allem für das Risikomanagement wichtig. In Zeiten mit hohem Diversifikationspotenzial lässt sich eine Risikosenkung relativ einfach und ohne Derivate erreichen. Dagegen könnte eine Risikosenkung in Zeiten mit niedrigem Diversifikationspotenzial vermutlich nur durch den Kauf von Derivaten erreicht werden.

Aus der Sicht von Ökonomen und Finanzwirten stellt sich die Sache relativ einfach dar. Das Diversifikationspotenzial sollte in 'normalen' Zeiten höher als in Krisenzeiten sein. In Krisenzeiten tendieren alle Wertpapiere am Wert zu verlieren. Wenn sich alle Preise in eine Richtung bewegen, kann eine Diversifikation eben nicht erreicht werden, die davon ausgeht, dass sich die Verluste und Gewinne von Wertpapieren ausgleichen. Doch wie sieht der tatsächliche Verlauf des Diversifikationspotenzials aus?


Historischer Verlauf der Diversifizierbarkeit in Deutschland



Die Abbildung 1 stellt den historischen Verlauf des Diversifikationspotenzials, das weiter unten formal beschrieben wird, dar. Das Diversifikationspotenzial bezieht sich auf die Aktien in Deutschland. Zu Berechnung des Diversifikationspotenzials habe ich zwei potenzielle Investorinnen unterstellt. Die erste Investorin führt eine einfache Portfoliobildungsstrategie, indem sie das so genannten naive Portfolio bildet. In einem naiven Portfolio hat jede Aktie exakt den gleichen Anteil, d.h. die Investorin würde ihr Kapital so aufteilen, dass sie immer den gleichen Betrag in jede Aktie investiert. Zahlreiche empirische Untersuchungen haben aufgezeigt, dass es sehr schwierig ist, das Rendite-Risiko-Profil eines naiven Portfolios zu übertreffen. Es ist also eine gute Wahl. Die zweite Investorin bildet das sog. globale Minimum-Varianz-Portfolio (GMVP). Es ist das effiziente Portfolio, das global das geringste Risiko (d.h. die geringste Streuung der Renditen) aufweist. Die historischen Aktienkursdaten für Deutschland habe ich von Datastream für den Zeitraum 1998-2018 bezogen. Für den wissenschaftlichen Kontext sind die Daten von Datastream noch zu bereinigen, weil ihre naive, unbereinigte Nutzung zu verfälschten Ergebnissen führt. Für die Zwecke der Bereinigung folge ich von Ince und Porter (2006) sowie Hanauer und Huber (2018).

Abb. 1: Diversifikationspotenzial und Anzahl von Firmen in der Stichprobe 

Der Verlauf des Diversifikationspotenzials für die beiden Portfolios entspricht durchaus den Vorstellungen der akademischen Forschung. Danach sollte es zu einer Absenkung der Diversifizierbarkeit in Krisen kommen, weil in Krisenzeiten alle Aktienpreise sinken. Wenn (buchstäblich) alle Aktienkurse sinken, lässt sich keine Diversifikation erzielen, weil um sie zu erreichen, zumindest einige Aktienpreise steigen sollten. Aus der Abbildung lässt es sich gut erkennen, dass kurz vor den und während der Krisen die Diversifizierbarkeit stark sinkt. Vor dem Jahr 2000 stieg das Diversifikationspotenzial an. Dieser Befund hat (vermutlich) weniger mit einer Absenkung von Korrelationen, sondern mit dem Anstieg der gelisteten Aktien zu tun. Vor der Finanzkrise aus dem Jahr 2008 kam es ebenfalls zu einer Absenkung des Diversifikationspotenzials, insb. wenn wir uns das naive Portfolio anschauen. Insgesamt scheint das Diversifikationspotenzial in Deutschland im untersuchten Zeitraum relativ stabil zu sein, insb. seit 2010. Da wir in Deutschland in diesem Zeitraum einen wirtschaftlichen Aufschwung mit stetig steigenden Aktienkursen ohne größere Verwerfungen erlebt haben, ist das stabile Diversifikationspotenzial zumindest nicht überraschend.


Wie können wir die Diversifizierbarkeit messen?



Dieser Abschnitt könnte wegen der Darstellung von Formeln u.U. zu Problemen führen. Am zuverlässigsten funktioniert es noch in Firefox. 

Zur Messung der Diversifizierbarkeit habe ich für den Beitrag die Kennzahl $\Delta$ definiert als $$\Delta=\sigma_H-\sigma_T$$

wobei $\sigma_H$ das Risiko (Standardabweichung) eines Portfolios ohne Diversifikationspotenzial und $\sigma_T$ das Risiko (Standardabweichung) eines tatsächlichen Portfolios ist. Die Idee hinter der Kennzahl $\Delta$ liegt in der Bestimmung von Risikodifferenzen. Diese Differenz wird zwischen dem Risiko einer hypothetischen Welt ohne die Möglichkeit der Diversifikation und dem Risiko eines tatsächlichen Portfolios gebildet. Das Diversifikationspotenzial $\Delta$ misst die Risikosenkung durch Portfoliobildung im Vergleich zu einer hypothetischen Welt, in der keine Risikosenkung möglich ist. Die Portfolios müssen für die empirische Analyse identische Gewichte in beiden Welten haben. Das Diversifikationspotenzial kann für beliebige Portfolios gemessen werden, z.B. naive Portfolios, GMVP, Tangentialportfolio, Marktportfolio etc.

Das Risiko eines tatsächlichen Portfolios kann recht einfach mit den empirischen Daten gemessen werden, wenn wir die Zusammensetzung des Portfolios kennen. Wie hoch ist jedoch das Risiko einer Welt ohne Diversifikation? Dazu ist eine Beobachtung wichtig: In einer solchen Welt müssten die paarweisen Korrelationen aller Wertpapiere genau 1 sein. Dann würden sich alle Wertpapiere immer in die gleiche Richtung bewegen, sodass die Verluste eines Wertpapieres niemals durch die Gewinne eines anderen Wertpapieres ausgeglichen werden. In einer solchen hypothetischen Welt würde die Bildung von Portfolios sinnlos sein, weil keine Diversifikation möglich wäre.

Die Festlegung von paarweisen Korrelationen auf 1 hilft, das Risiko eines beliebigen Portfolios in der hypothetischen Welt zu messen. Es sei $\rho_{ij},\forall i,j$, wobei $\rho_{ij}$ die Korrelation zwischen dem i-ten und j-ten Wertpapier ist. Die Kovarianz zwischen zwei Wertpapieren $\sigma_{ij}$ ist dann definiert als $\sigma_{ij}=\rho_{ij}\cdot\sigma_i\cdot\sigma_j$, wobei $\sigma_i$ die Standardabweichung eines Wertpapiers i ist. Dann ist die Portfoliovarianz für ein Portfolio der hypothetischen Welt $H$ bestehend aus N Wertpapieren:
$$\sigma^2_H =\sum_i^N w^2_i\sigma_i^2 + \underbrace{\sum_i^N\sum_j^N}_{i\neq j} w_i w_j\sigma_i\sigma_j \Leftrightarrow$$
$$\sigma^2_H=\underbrace{(w_1^2\sigma_1^2+w_2^2\sigma_2^2+w_3^2\sigma_3^2+\ldots)}_{\text{Erster Summand}}+\underbrace{(w_1w_2\sigma_1\sigma_2+w_1w_3\sigma_1\sigma_3+w_2w_3\sigma_2\sigma_3+\ldots)}_{\text{Zweiter Summand}} \Leftrightarrow$$
$$\sigma^2_H=\underbrace{\left(\sum_i^Nw_i\sigma_i\right)^2}_{\text{binomische Formel}}$$
Daher ist das Portfoliorisiko der hypothetischen Welt, gemessen als Standardabweichung (Vola), einfach die gewichtete Summe der Standardabweichungen.
$$\sigma_H=\sum_i^N w_i \sigma_i$$
Da sich die Anteilsgewichte zu Eins aufsummieren, ist das Portfoliorisiko sogar nur der gewichtete Durchschnitt.
Wir können uns auf die Klasse von naiven Portfolios beschränken, mit $w_i=\frac{1}{N}$. Dann reduziert sich das Portfoliorisiko in der hypothetischen Welt zum einfachen Durchschnitt der Volatilitäten:
$$\sigma_H=\frac{1}{N}\sum_i^N\sigma_i$$

Die Kennzahl $\Delta$ hätte ich auch ein klein wenig anders definieren können, indem ich die Varianzen voneinander abgezogen hätte. Eine solche Kennzahl $\Delta^2$ bietet analytisch intuitive Eigenschaften, denn
$$\Delta^2=\sigma_H^2-\sigma_T^2=\left(\sum_i^N w^2_i\sigma_i^2 + \underbrace{\sum_i^N\sum_j^N}_{i\neq j} w_i w_j\sigma_i\sigma_j \right)-\left(\sum_i^N w^2_i\sigma_i^2 + \underbrace{\sum_i^N\sum_j^N}_{i\neq j} w_i w_j\sigma_i\sigma_j \rho_{ij}\right)\\= \underbrace{\sum_i^N\sum_j^N}_{i\neq j} w_i w_j\sigma_i\sigma_j -\underbrace{\sum_i^N\sum_j^N}_{i\neq j} w_i w_j\sigma_i\sigma_j \rho_{ij}$$
Das Diversifikationspotenzial wird demnach umso höher, je geringer die wechselseitigen Korrelationen $\rho_{ij}$ sind. Mit anderen Worten, ich habe wieder die zentrale Lehre der Portfoliotheorie von Markowitz wieder entdeckt ;-)

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