Skip to main content

Gründungswochenende @HSB

  Ich hatte vor kurzem die Gelegenheit am Gründungswochenende@HSB als Coach teilzunehmen. Ich bin immer noch begeistert vom Team bei FreiRAUM@HSB. Einerseits die absolut professionelle Organisation und das Matchen unterschiedlicher Charaktere sowohl bei den Studierenden als auch bei den Coaches.  Meine Aufgabe als Coach war es, bei zwei interessanten Projekten kritische Fragen zu stellen. Das erste Projekt hatte eine Lösung von Problemen im öffentlichen Nahverkehr für die Menschen mit Mobilitätsbehinderung spezialisiert. Damit waren nicht nur die Menschen gemeint, die auf einen Rollstuhl angewiesen waren, sondern auch beispielsweise ältere Personen, für die die Stufe zum Einstieg in den Bus eine Herausforderung darstellte. Es war eine technische Idee mit einem Luftkissen. Ich hatte das Gefühl, dass die (jungen) Studierenden sich sehr viel Gedanken über das Produkt gemacht haben, aber noch nicht über die Marktstruktur im öffentlichen Nahverkehr in Deutschland.  Das zweite Projekt hatte

Was ist der wichtigste Finanzmarkt?

Angesichts der täglichen Berichtserstattung in TV und Zeitungen über steigende oder fallende Aktienkurse könnte der Eindruck entstehen, es handelt sich um einen sehr wichtigen Markt. Doch wie bedeutend ist der Aktienmarkt wirklich?

Funktionen von Finanzmärkten

Als Erstes ist zu klären, wozu der Aktienmarkt eigentlich dient. Der Aktienmarkt hat verschiedene Funktionen, von denen wir hier nur zwei betrachten:
  1. Finanzierungsfunktion: Unternehmen benötigen Kapital um Investitionen durchzuführen, z.B. um einen neuen Standort zu eröffnen. Hierzu können sie Aktien (sog. 'junge Aktien') ausgeben, die von Investoren gekauft werden. Durch diese Kapitalerhöhung erhalten die Unternehmen Geld, mit dem sie die geplanten Investitionen durchführen.
  2. Transformationsfunktionen: Die Investoren, die die Aktien gekauft haben, helfen dem Unternehmen, die Risiken der Investition auf viele Schulter zu verteilen (Risikoteilung). Die Investoren sind dabei durch erwartete Gewinne des Unternehmens aus den Investitionen motiviert. Da sie möglicherweise früher Geld brauchen als das Unternehmen Gewinne verteilen wird, sind die Investoren u.a. auch daran interessiert, möglichst jederzeit ihre Aktien verkaufen zu können. Diese Möglichkeit jederzeitigen Verkaufs von Unternehmensanteilen nennt man 'Liquidieren' - und ein Markt ist liquide, wenn die Investoren jederzeit ohne Preisabschläge verkaufen können.   

Wenn wir über die beiden Funktionen nachdenken, werden wir schnell feststellen, dass sie nicht nur durch den Aktienmarkt geleistet werden. Eine Bank wird ebenfalls die Finanzierungsfunktion übernehmen, indem sie Kredite vergibt. Sie wird die Transformationsfunktionen durch die Annahme von Kundengeldern (sog. Depositen) leisten, d.h. die Bank erlaubt es den Kunden, Konten bei ihr zu eröffnen. So müssen wir als Kunden keine Kredite an die Unternehmen vergeben, wir müssen nicht die Risiken der Unternehmen einschätzen und können unser Geld vom Bankkonto nahezu jederzeit abheben; eine Bank ist (theoretisch) sehr liquide. 

Neben der Finanzierung durch Banken gibt es den Anleihemarkt. Eine Anleihe ist ebenfalls ein Kredit, allerdings kann die Anleihe über die Börse gehandelt werden und die Investoren investieren direkt in die Unternehmen (und nicht über den Umweg über die Banken). Für einige Unternehmen ist die Finanzierung über den Kapitalmarkt vorteilhafter als die Finanzierung durch Banken. Der Vorteil für die Unternehmen muss nicht nur in geringeren Kosten liegen, sondern auch in der Senkung der Verhandlungsmacht von Banken als Gläubiger gegenüber diesem einen Unternehmen. Der Vorteil geht allerdings auf Kosten der Eigentümer. 

Alle drei Märkte, Aktienmarkt, Bank(kredit)markt und Anleihemarkt, übernehmen also ähnliche Funktionen. Anhand ihrer können wir versuchen, die Bedeutung der Märkte abzuschätzen. Wir werden uns nachfolgend auf die Finanzierungsfunktion konzentrieren.  

Wie wird die Bedeutung der Finanzierungsfunktion gemessen?

Um die Finanzierungsaufgabe zu quantifizieren, werden mehrere Ansätze verwendet. Typischerweise werden Marktwerte von Aktien, Anleihen bzw. Bankkrediten herangezogen. Marktwert ist das Produkt "Kurs eines Wertpapiers mal Anzahl der Wertpapiere".

Die Marktwerte bevorzugen in gewissem Sinne die Aktien. Der Kurs eines Wertpapiers hängt von den zukünftigen Zahlungen (Dividenden, Zinsen) und von den erwarteten Renditen ab. Die Aktieninvestoren als Mit-Eigentümer bekommen den größten Anteil an den Gewinnen eines Unternehmens, u.a. weil sie die größten Risiken tragen und weil ihr Investment zeitlich nicht begrenzt ist. Daher sind die Aktienpreise i.d.R. höher als die Anleihepreise.  

Um die Bedeutung des Marktes für eine Volkswirtschaft zu erkennen, werden in der Regel die jeweiligen Werte durch das Bruttoinlandsprodukt (GDP in den nachfolgenden Abbildungen) geteilt. Somit bekommen wir eine Vorstellung über die Größe und die Bedeutung eines Marktes in Relation zur wirtschaftlichen Leistung des Landes, die ja eben durch die Instrumente finanziert wird. 


Die Daten beziehen sich nachfolgend auf Deutschland und die USA. Für die USA habe ich die Daten über den FRED-Dienst bezogen, der von der Federal Reserve Bank of St. Louis angeboten wird. Dort kann man die Datenreihen kombinieren und in einfach zu konstruierende Grafiken integrieren. Die Daten für Deutschland stammen von der BIS sowie der EZB (ECB Dataware House), wobei ich die Daten für Deutschland auch über das FRED-Tool bezogen habe. Wenn Sie wollen, können Sie die Grafiken selbst anpassen oder die Daten herunterladen. 


Die Stichprobe habe ich auf Unternehmen des nicht-finanziellen Sektors beschränkt, weil prinzipiell nur sie bei der Finanzierung die Auswahl aus allen drein Finanzierungsmöglichkeiten haben. Staaten und staatliche Organisationen sind typischerweise auch große Schuldner. Da sie keine Aktien zur Eigenkapitalfinanzierung ausgeben und sich nur durch Schulden finanzieren können, werden sie hier nicht berücksichtigt. Sie würden den Anleihen und Bankkrediten deutlich mehr Bedeutung verschaffen. Banken sind ebenfalls sehr große Schuldner, weil sie ihr Kreditgeschäft refinanzieren müssen. Die Refinanzierung von Banken würde hier jedoch zu einer Doppelzählung führen (weil die Anleihen der Banken als Kredite an Unternehmen ausgezahlt werden). Daher werden sie auch nicht berücksichtigt.  



Welche Bedeutung haben der Aktien-, Anleihen- und Bankkreditenmarkt?

Die nachfolgende Abbildung zeigt das Verhältnis der Marktwerte von Aktien, Anleihen und Bankkrediten in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) für Deutschland an. Selbst wenn wir die angesprochene Verzerrung in Richtung von Aktien vernachlässigen, ist der Aktienmarkt in Deutschland nicht der größte Markt. Bis auf die Zeitperiode um 2000 ist er sogar der kleinste Markt zur Finanzierung von Unternehmen.  



Der Markt für Unternehmensanleihen schafft es dagegen sehr selten in die Berichtserstattung. Über Anleihen wird meist nur im Zusammenhang mit Staatsfinanzierung berichtet; und meistens auch nur dann, wenn negative Nachrichten zu vermelden sind. Für deutsche Unternehmen ist der Anleihenmarkt zumindest genauso bedeutend wie der Aktienmarkt. 

Mit großem Abstand zu anderen Finanzierungsformen kommen die Bankkredite. Offenbar fungieren Banken als wichtigste Anbieter der Unternehmensfinanzierung. Die Bankkredite an Nicht-Finanzunternehmen nehmen eine bedeutende Rolle ein und schwanken zwischen 80% und 120% des BIP. 

Dieser Befund der Rangfolge der Bedeutung unterschiedlicher Finanzmärkte gilt im übrigen nicht nur für die hier dargestellte Periode, sondern seitdem die Daten aufgezeichnet werden. Möglicherweise ist der deutsche Aktienmarkt international eine Ausnahme. Häufig wird über die 'German Angst' berichtet und vielleicht sind die deutschen Investoren tatsächlich sehr risikoscheu und bevorzugen Einlagen bei Banken (sog. Depositen) anstelle der als riskant empfundenen Aktien. Wie sieht es in den USA aus, der typischerweise als einer der, vielleicht, wichtigste Aktienmarkt der Welt angesehen wird.  




In der zweiten Abbildung sind die Verhältnisse der jeweiligen Finanzmärkte zum US-GDP dargestellt. In den USA ist der Aktienmarkt größer als der Markt für Bankkredite, aber dennoch deutlich kleiner als der Markt für Unternehmensanleihen. Die grau eingefärbten Bereiche in der Abbildung sind die Zeiten der Rezessionen in den USA, so wie sie von NBER definiert werden. Offenbar ist der Aktienmarkt in den USA ebenfalls nicht der wichtigste Markt für Finanzierungen und trotzdem wird in den US-Medien über den Aktienmarkt, ähnlich zu Deutschland, viel mehr berichtet. 


Eine Seitenbemerkung: Die Finanzierungsbedarfe der Unternehmen steigen deutlich sowohl für Deutschland als auch für die USA. Betrug der Finanzierungsbedarf in Deutschland 1990 ca. 120% von BIP, ist er 2015 bei ca. 170%. Im gleichen Zeitraum wuchs der Finanzierungsbedarf in den USA von ca. 290% auf ca. 490% vom BIP. Offenbar finden die Unternehmen immer noch zahlreiche Investitionen, die eine höhere Rendite als der risikoadjustierte Marktzins haben.

Side-Kick: Diese Schlussfolgerung ist nur zulässig, wenn wir die verwendeten Messmethoden zustimmen. Gerade die Messung der Bedeutung vom Aktienmarkt durch die Marktwerte kann kritisiert werden, weil sie im Grunde keine neue Finanzierung darstellen. Es ist jedoch ein guter Startpunkt, weil sich die Unternehmen bei einer Ausgabe von jungen Aktien tatsächlich an die aktuellen Aktienpreise orientieren.

Woher kommt dann die extensive Berichtserstattung über den Aktienmarkt? 

Der Aktienmarkt ist sicherlich nicht der bedeutendste Markt für die Finanzierung. Woher das täglich Interesse der Medien an diesem Markt? 

Natürlich berichten die Journalisten vor allem über die Themen, die die Leser interessieren und/oder Klicks generieren. Die Berichtserstattung konzentriert sich vor allem auf wenige Aktien - meist auf die sehr großen Unternehmen wie z.B. Amazon, Facebook, Google, Siemens, VW etc. Diese Unternehmen sind sogenannte 'Glamour Stocks', für die wir uns deswegen interessieren, weil sie uns aus dem täglichen Leben bekannt sind, weil wir die Produkte nutzen oder für die Unternehmen arbeiten. Oder kennt jemand das Unternehmen Hannon Armstrong, den weltweit größten Anbieter von Infrastrukturlösungen für die nachhaltige Energie? 

Warum wird aber über die Aktien der Unternehmen und nicht über ihre Anleihen berichtet? Meine Vermutung ist es, dass die Leser sich mehr für die die potenziell sehr hohen Gewinnmöglichkeiten interessieren, die es beim Kauf von Anleihen schlicht nicht gibt.

Side-Kick: Die Frage an sich scheint mir interessant, um auch von Studierenden im Rahmen von Abschlussarbeiten bearbeitet zu werden.

Comments

Popular posts from this blog

Riesiger Datenschatz: „Fredde Mac Single Familiy Dataset“!

Aktuell arbeite ich mit Begeisterung am ' Fredde Mac Single Family Dataset ', einem wahren Datenschatz. Diesen entdeckte ich zufällig während der Begutachtung eines Konferenzbeitrags – zu meiner großen Überraschung. Freddie Mac stellt diesen Datensatz zur Verfügung, weil die Aufsichtsbehörde (Federal Housing Finance Agency - FHFA) es so will. Das Ziel? Mehr Transparenz schaffen und Investoren helfen, bessere Modelle für Kreditgeschäfte zu entwickeln. Ein großes Dankeschön an die Behörde dafür!

Wie hoch ist das Diversifikationspotenzial von Aktienportfolios?

In letzter Zeit habe ich empirische Analysen zum Thema Diversifikationspotenzial von Aktienportfolios durchgeführt. Die Höhe des Diversifikationspotenzials erscheint mir vor allem für das Risikomanagement wichtig. In Zeiten mit hohem Diversifikationspotenzial lässt sich eine Risikosenkung relativ einfach und ohne Derivate erreichen. Dagegen könnte eine Risikosenkung in Zeiten mit niedrigem Diversifikationspotenzial vermutlich nur durch den Kauf von Derivaten erreicht werden. Aus der Sicht von Ökonomen und Finanzwirten stellt sich die Sache relativ einfach dar. Das Diversifikationspotenzial sollte in 'normalen' Zeiten höher als in Krisenzeiten sein. In Krisenzeiten tendieren alle Wertpapiere am Wert zu verlieren. Wenn sich alle Preise in eine Richtung bewegen, kann eine Diversifikation eben nicht erreicht werden, die davon ausgeht, dass sich die Verluste und Gewinne von Wertpapieren ausgleichen. Doch wie sieht der tatsächliche Verlauf des Diversifikationspotenzials aus?

Lohnen sich nachhaltige Investments auch in der Krise?

Die Performance von deutschen Unternehmen mit ESG-Scores im Top-Quartil hat sich im Vergleich zu einem Investment in den DAX seit Ausbruch der Corona-Pandemie positiv entwickelt. ESG-Score ist eine Kennzahl, mit der Unternehmen nach “Environment, Social and good Governance”-Kriterien (höhere Scores sind besser) bewertet werden. Abb. 1.: Performancevergleich von DAX vs. ESG-Portfolien in der Corona-Krise Die Abb. 1 stellt zwei kurzfristige Performancevergleiche seit dem 1.3.2020 dar. Das Startdatum habe ich gewählt, weil das Robert-Koch-Institut ca. in der 11. Woche mit großflächigen Corona-Tests in Deutschland begonnen hatte. Daher nehme ich an, dass den Investoren in diesem Zeitraum die ökonomische Dimension von SARS-CoV-2 bewusst wurde. Die Unternehmen sind in beiden Vergleichen in je 11 Portfolios, je nach einem Aspekt der Nachhaltigkeit, zusammengefast. In der oberen Abbildung ist die Performance vom DAX (grün) und Portfolios von Unternehmen mit ESG-Scores aus dem ob